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Projektbeschreibung

Die Leistungsfähigkeit von Bauteilen wird durch die Mikrostruktur des verwendeten Werkstoffs geprägt. Bislang sind kaum quantitative Ansätze vorhanden, mit denen der Einfluss der Gefügecharakteristika auf die Leistungsfähigkeit vorgeschädigter Bauteile verlässlich beschrieben werden kann. Auch stehen nur vereinzelte qualitative Ansätze zum Design schädigungstoleranter Mikrostrukturen zur Verfügung. Die gezielte Einstellung einer gewünschten Bauteilleistungsfähigkeit unter Berücksichtigung umformbedingter Vorschädigungen ist derzeit kaum möglich. Deshalb verfolgt das Teilprojekt B05 das Ziel, quantitative Methoden zur generischen Beschreibung von Schädigung und Mikrostruktur zu entwickeln und diese für ein schädigungstolerantes Werkstoffdesign einzusetzen. Damit stellt das Teilprojekt dem TRR 188 ein wichtiges Werkzeug zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Bauteilen mit umformbedingten Vorschädigungen zur Verfügung.

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Statistisches Volumenelement zur repräsentativen Widergabe der
Mikrostruktur von Stahl

      Dreidimensionale Darstellung eines
repräsentativen Volumenmodells

Das Teilprojekt kombiniert Prozessbetrachtung, Modellierungsansätze und experimentelle Charakterisierungsmethoden. Es stellt somit in besonderer Weise ein Verbindungsglied zwischen den drei Projektbereichen des TRR 188 dar.

Die Bewertung der Leistungsfähigkeit von umformtechnisch hergestellten Bauteilen erfolgt üblicherweise anhand von Versuchen, die sich am zu erwartenden Bauteileinsatz orientieren, sodass in vielen Fällen statische und zyklische Festigkeitseigenschaften sowie die Restduktilität bewertet werden. Deshalb kommt es in diesen Versuchen entweder zu einer Fortsetzung der bereits während des Umformprozesses begonnenen duktilen Schädigung oder aber zu einem Mechanismenwechsel hin zur zyklischen Schädigung. Das dem ersten Fall zugrunde liegende Versagensverhalten ist demnach die duktile Schädigung unter nichtproportionalen Dehnungspfaden, im zweiten Fall liegt dem Versagen hingegen die Überlagerung von duktiler und zyklischer Schädigung zugrunde.

In der ersten Förderperiode wurden die methodischen Ansätze zur generischen Beschreibung von Mikrostruktur und Schädigung entwickelt, wobei sowohl der Dualphasenstahl als auch der Einsatzstahl betrachtet wurden. Die Erzeugung von Mikrostrukturmodellen beruht auf einer statistischen Gefügebeschreibung, sodass durch Vorgabe entsprechender Parameter auch künstliche Mikrostrukturen erzeugt und hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit bewertet werden können. Hierzu hat der Antragsteller bereits eine Methodik entwickelt, die auf Basis von statistischen Gefügebeschreibungen generische zweidimensionale und dreidimensionale Mikrostrukturmodelle erzeugt. Diese Mikrostrukturmodelle erfüllen die wesentlichen Anforderungen an ein repräsentatives Volumenelement und spiegeln darüber hinaus statistisch repräsentativ die Eigenschaften des vorliegenden Werkstoffs wider. Der bestehende Ansatz wurde in der ersten Förderperiode dahingehend weiterentwickelt, dass die Ansprache der abzubildenden Gefüge weitere Parameter beinhaltet. Hierzu gehören neben den bereits betrachteten Phasenanteilen, Korngrößenverteilungen und Kornstreckungen insbesondere Partikelverteilungen, Kornorientierungsverteilungen, Kornmissorientierungsverteilungen, Zeiligkeiten sowie Porengrößen- und -formverteilungen.

Die Konstruktion der statistisch repräsentativen künstlichen Mikrostrukturmodelle wurde in der ersten Förderphase aufgrund der für duktile Schädigung typischen voluminösen Schädigungscharakteristika (Porenentwicklung) auf dreidimensionale Elemente erweitert. Diese Porenentwicklung wurde mittels in-situ Zugversuchen unter Synchrotron-Strahlung untersucht und wird in der aktuell laufenden zweiten Förderperiode weiter mittels Computertomographen (µ-CT) analysiert. Weiterhin werden methodische Ansätze entwickelt, um auf darüber liegenden Skalen angeordnete (phänomenologische) Modelle strukturiert zu informieren.

Sofern auch die Kopplung an die makroskopischen Modelle gewährleistet ist, kann diese Methodik genutzt werden, maßgeschneiderte Werkstoffe für definierte Anwendungsgebiete zu identifizieren. Deshalb erfolgt in der aktuell laufenden zweiten Förderperiode am Beispiel eines Dualphasenstahls eine computerbasierte Mikrostrukturoptimierung hinsichtlich des Widerstands gegen duktile Schädigung unter nichtproportionalen Dehnungspfaden. In der dritten Förderperiode soll das Gefüge des Einsatzstahls 16MnCrS5 hinsichtlich des Widerstands gegen überlagerte duktile und zyklische Schädigung optimiert werden. Diese Zuordnung der Werkstoffkonzepte zu den Schädigungsmechanismen entspricht den jeweiligen Anwendungsfällen.

 

Wichtige Ergebnisse der 1. Förderperiode

Untersuchung des Mikrostruktureinflusses auf die Schädigung

RVE-Simulationen bilden die Grundlage für das computerunterstützte Design metallischer Werkstoffe nach den Methoden des ICME. Zur RVE-Erzeugung sind bereits mehrere Ansätze verfügbar und auch weit verbreitet, allerdings berücksichtigen diese vornehmlich diejenigen Gefügeparameter, die maßgeblich die elastisch-plastischen Werkstoffreaktionen beeinflussen. In TP B05 ist aber die Verwendung von RVE zur Beschreibung des Mikrostruktureinflusses auf die Evolution der duktil induzierten Schädigung und die Abbildung der Interaktion von duktil induzierter Schädigung mit Ermüdungsmechanismen mit dem Ziel des schädigungstoleranten Werkstoffdesigns vorgesehen. Deshalb müssen bei der RVE-Erzeugung auch diejenigen Parameter berücksichtigt werden, die einen besonders großen Einfluss auf die Schädigungsinitiierung und die Schädigungsakkumulation ausüben. Bereits existierende RVE-Generatoren wie NEPER [Que11] und DREAM.3D [Gro08a, Gro08b] sind nur in der Lage, einen Teil dieser Parameter in synthetischen Gefügen zu reproduzieren, aber kein existierender Code kann alle zur Beschreibung der Schädigungsevolution relevanten Parameter in einem SRVE berücksichtigen. Daher wurde im Rahmen des TP B05 als Schwerpunkt der ersten Förderperiode ein RVE-Generator [Hen20] mit einem diskreten Ansatz entwickelt, der genau diese Fähigkeiten besitzt. Die Erkenntnisse wurden dabei hauptsächlich am Dualphasenstahl aufgezeigt.

Zu Beginn der ersten Förderperiode wurde die Schädigungsevolution des im TRR untersuchten Stahls DP800 unter Referenzierung auf einen Dualphasenstahl der Sorte DP1000 vergleichend bewertet [Püt20a]. Dabei wurde sowohl numerisch als auch experimentell der Verlauf der Schädigung während der Umformung beschrieben, wobei zur numerischen Bewertung auf das vom Antragsteller entwickelte MBW-Modell [Püt20a] zurückgegriffen wurde. Dieses verwendet voneinander unabhängige, dehnungsbasierte, spannungszustandsabhängige Kriterien für Schädigungsinitiierung und Materialpunktversagen. Die Parameter dieses Modells wurden für beide Materialien anhand von Zugversuchen an unterschiedlich gekerbten Proben kalibriert. Unter Verwendung dieser Kriterien des MBW-Schädigungsevolutionsgesetzes konnten anschließend gemäß dem in [Mün17] beschriebenen Verfahren die Unterschiede zwischen den beiden Stählen aufgezeigt werden. Zu diesem Zweck wurden die im einachsigen Zugversuch ermittelten Fließkurven approximiert und extrapoliert. Anschließend wurden die experimentell ermittelte Gleichmaßdehnung sowie die dem Schädigungsevolutionsgesetz entnommenen kritischen Dehnungen bei Schädigungsinitiierung und Materialpunktversagen eingetragen. Abb. 1 zeigt, dass im Dualphasenstahl DP800 (Werkstoff des TRR 188) unter einachsiger Zugbeanspruchung die Schädigungsinitiierung deutlich nach dem Einschnürbeginn stattfindet, wobei das Material die weitere Umformung noch vergleichsweise lange ertragen kann, bis es zum Versagen kommt [Püt20a]. Der Werkstoff zeigt sich gegenüber der Schädigungsevolution demnach vergleichsweise tolerabel. Im Referenzwerkstoff der Sorte DP1000 hingegen fällt auf, dass die Akkumulationsphase der Schädigung sehr kurz ausfällt, denn bereits kurz nach Schädigungsinitiierung wird das Kriterium für das Materialpunktversagen erfüllt [Püt20a].

Die Unterschiede zwischen den beiden Werkstoffen beruhen auf miteinander interagierenden Ursachen. Zunächst zeigen Analysen der chemischen Zusammensetzungen beider Stähle auf, dass die Legierungskonzepte in beiden Fällen sehr ähnlich sind. Insbesondere weisen beide Werkstoffe nahezu identische Kohlenstoffgehalte auf. Weiterhin belegen die in Abb. 1 enthaltenen metallographischen Schliffbilder, dass der Stahl DP1000 etwa 9% mehr Martensit enthält als der Stahl der Sorte DP800. Hier kann demnach geschlussfolgert werden, dass der Martensit im Stahl DP800 mehr Kohlenstoff enthält und somit härter ist als der des Stahls DP1000 [Püt20a]. Da gleichzeitig der spannungskontrollierte Martensitbruch einer der wichtigsten Schädigungsinitiierungsmechanismen in DP-Stählen ist, kommt der Martensithärte eine unmittelbare Bedeutung für die Schädigungsevolution in diesen Stählen bei. Die bezogen auf die Dehnung bei Materialpunktversagen relativ frühe Schädigungsinitiierung im Stahl DP800 ist deshalb auf dessen vergleichsweise hohe Martensithärte zurückzuführen.

Als weitere Ursache für die unterschiedliche Schädigungstoleranz der beiden DP-Stähle sind die Bandstrukturen im Stahl DP800 zu nennen [Püt19, Püt20a]. Diese brechen – wie auch in anderen DP-Stählen zum Teil beobachtet [Avr09] - perlenkettenartig, wobei die großen umliegenden Ferritinseln eine weitere Verformung ermöglichen, ohne dass es zum Bruch kommt. Im Stahl DP1000 hingegen ist diese große Duktilität der ferritischen Phase nicht gegeben [Püt20a].

 

Abb. 1: Auf Auswertung des MBW-Modells beruhende vergleichende Bewertung der Schädigungsevolution in zwei Dualphasenstählen der Sorten DP800 (Untersuchungswerkstoff des TRR 188) und DP1000 (Referenzwerkstoff Abb. 2:     Auf Schliffuntersuchungen beruhende vergleichende Bewertung der Schädigungsevolution in zwei Dualphasenstählen der Sorten DP800 (Untersuchungswerkstoff des TRR 188) und DP1000 (Referenzwerkstoff).

 

Der in diesen Schliffuntersuchungen jeweils für beide Stähle zu unterschiedlichen Dehnungen quantifizierte Anteil der Schädigung ist in Abb. 2 dargestellt, wobei die auf der x-Achse dargestellten Dehnungen für eine bessere Vergleichbarkeit auf die jeweilige Bruchdehnung normiert wurden. Bei dieser Art der Darstellung zeigt sich, dass die Schädigungsinitiierung im Stahl DP800 früher erfolgt, während im Stahl DP1000 erst kurz vor dem Materialversagen ein signifikanter Anstieg der Porenfläche festzustellen ist [Püt20a].

Die hier beschriebenen experimentellen und numerischen Untersuchungen betreffen zunächst ausschließlich den einachsigen Zugspannungszustand. Da der Flächenanteil der sich bildenden Poren erheblich vom Spannungszustand abhängt [Kus20], ist eine Verallgemeinerung der Erkenntnisse nicht ohne weiterführende experimentelle Untersuchungen möglich. Zumindest qualitativ bestätigen die experimentellen Untersuchungsergebnisse aber dennoch die allgemeinen Aussagen der schädigungsmechanischen Modellierung [Püt20a].

Um den Einfluss der Mikrostrukturmorphologie des Stahls DP800 genauer zu quantifizieren, wurden im Anschluss Biegeversuche (ebener Formänderungszustand) durchgeführt, wobei die Proben nach der Versuchsdurchführung in Kooperation mit TP B02 im Rasterelektronenmikroskop zur Analyse des Schädigungszustands untersucht wurden. Die Biegeproben wurden ausgewählt, weil sich die Schädigung hier zunächst oberflächennah ausbildet und zudem in einer einzigen Probe mehrere Stadien der Schädigung aufgrund der in Dickenrichtung veränderlichen Dehnungen untersucht werden können.

Abb. 3: Rissspitze in einer Biegeprobe; vergrößerter Ausschnitt rechts. Deutlich zu sehen ist die perlenkettenartige Ausbildung der Schädigung entlang der Martensitbänder. Bildquelle: IMM (TP B02).

 

Abb. 3 zeigt die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Rissspitze, welche während des Biegeversuchs entstanden ist. Insbesondere fällt dabei in der Vergrößerung die perlenkettenartige Ausbildung der Schädigung in den Martensitbändern auf. Zudem ist zu erkennen, dass der Bruch durch die Martensitbänder oder zumindest an ihnen entlang in Regionen verläuft, in denen der Anteil der Schädigung im Martensitband besonders hoch ist. Somit lässt sich festhalten, dass die Martensitmorphologie in diesem Fall einen signifikanten Einfluss auf die Schädigungsinitiierung und den Verlauf der Werkstoffschädigung hat.

Quantitative Beschreibung der Mikrostruktur

In Kooperation mit TP B02 wurden EBSD-Aufnahmen der Mikrostruktur des Stahls DP800 angefertigt. Diese Aufnahmen, eine pro Raumrichtung, sind in Abb. 4 dargestellt.

Abb. 4: EBSD-Analyse der Mikrostruktur des Dualphasenstahls DP800 in verschiedenen Schlifforientierungen (WR: Walzrichtung, BN: Blechnormale, QR: Querrichtung). Bildquelle: IMM (TP B02)

 

Deutlich zu sehen ist hier der Einfluss des Walzprozesses auf das Gefüge. So sind die Körner in Walz- und Querrichtung ausgestreckt, während sie in Richtung der Blechnormalen gestaucht wirken. Außerdem zeigt ein Blick auf die Blechoberseite (rechtes Teilbild), dass die Körner in Querrichtung und Walzrichtung etwa gleiche Durchmesser aufweisen und daher annähernd rund sind. Das zweite wichtige Merkmal dieser Mikrostruktur sind die auffälligen, bereits zuvor diskutierten Martensitbänder, insbesondere zu sehen im linken Teilbild. Die übliche Vorgehensweise bei der statistischen Charakterisierung von Mikrostrukturen sieht vor, dass die einzelnen Parameter (beispielsweise Kornfläche, Achsenverhältnis, Neigung, vgl. Abb. 5) evaluiert und durch Verteilungsfunktionen durch Auswertung einer ausreichend großen Anzahl an Körnern statistisch beschrieben werden. Dazu werden in EBSD-Messungen die geometrischen Parameter einzelner Körner erfasst. Um aufzuklären, ob diese drei Parameter, die nachfolgend als Kornparameter bezeichnet werden, voneinander abhängen, wurden diese in Abb. 6 gegeneinander aufgetragen.

Abb. 5: Schematische Darstellung eines Korns mit seinen betrachteten Parametern. Abb. 6: Gegenseitige Abhängigkeit verschiedener Kornparameter im Stahl DP800. Darstellung für die Raumrichtung WR x BN

 

Durch die Auftragung der einzelnen Parameter als Scatterplot lassen sich deutliche Abhängigkeiten erkennen. So zeigt sich in Teilbild a), dass große Körner im Verhältnis kleinere Seitenverhältnisse haben, während in Teilbild c) auffällt, dass Körner mit einem großen Seitenverhältnis entlang der x-Achse (Walzrichtung) des Bildes orientiert sind. Teilbild b) zeigt eine geringere Abhängigkeit, doch auch hier lässt sich feststellen, dass Körner mit größerer Kornfläche tendenziell eher entlang der Walzrichtung orientiert sind. Anhand der gewählten Darstellung ist zudem zu erkennen, dass größere Achsenverhältnisse hauptsächlich bei kleineren Körnern zu beobachten sind und die Kornneigung bei größeren Körnern weniger stark ausgeprägt ist [Püt20b]. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine statistische Beschreibung durch einfache, separate Verteilungsfunktionen der Kornparameter nicht ausreichend ist, um eine genaue Abbildung der Mikrostruktur im SRVE zu erzielen. Stattdessen müssen sowohl die statistischen Verteilungen der einzelnen Parameter als auch deren experimentell identifizierte gegenseitige Abhängigkeiten abgebildet werden [Püt20b]. Daher wurde ein „Machine Learning“ Algorithmus (MLA) angewandt [Püt20b], der als Input für die Erzeugung der 3D-SRVE eine schier unbegrenzte Anzahl an möglichen Körnern virtuell erstellen kann, die in genau dieser Form auch in der realen Mikrostruktur vorkommen könnten. Zur Erstellung dieses Algorithmus wurden Python Skripte verwendet, die auf die Implementierung vieler Prinzipien des Machine Learning in Pytorch zurückgreifen konnten. Das eingesetzte Neuronale Netzwerk (NN) war vom Typ der „generative adversarial networks“ (GAN), bei dem als „Loss Function“ eine Wassersteinmetrik verwendet wurde (WGAN). Das Prinzip dieser Netzwerke besteht darin, zwei NN gegeneinander antreten zu lassen. Dabei erzeugt ein „generator network“ (GN) künstliche Datensätze, während ein „discriminator network“ (DN) mit realen Daten trainiert wird und deshalb in die Lage versetzt wird, die künstlichen Datensätze auszusortieren, die ihm das GN vorlegt. Aus den Rückmeldungen des DN erkennt das GN zwangsläufig immer besser, welche künstlichen Datensätze nicht von den Trainingsdaten zu unterscheiden sind. Dadurch nähern sich die künstlichen Datensätze der realen Verteilung an. Dabei werden auch die zuvor angesprochenen Abhängigkeiten erkannt und reproduziert.

Nach dem Training ist das GN in der Lage, künstliche Daten zu erstellen, die sich in Bezug auf alle betrachteten Mikrostrukturparameter kaum von den realen Trainingsdaten unterscheiden [Püt20c]. Das Training verläuft dabei über viele Iterationen (Epochen), in denen sich die künstlichen Verteilungen immer weiter an die Trainingsdaten annähern. Abb. 7 zeigt einen Vergleich von Trainingsdaten mit synthetisch erstellten Daten des MLA durch die Auftragung als Pairplot [Püt20b]. In dieser Darstellung befinden sich die Verteilungsfunktionen auf der Diagonalen, während in den übrigen Bildern Abhängigkeiten der einzelnen Parameter voneinander dargestellt werden. Die Darstellung verdeutlicht, dass nicht nur die KDE-Verteilungsfunktionen hervorragend zueinander passen, sondern auch die individuellen Kornflächen, Achsenverhältnisse und Neigungen aus Trainingsdaten und künstlicher Erzeugung eine enorme Ähnlichkeit zeigen [Püt20b]. Durch dieses Vorgehen konnten Datensätze für die Erzeugung der 3D-SRVE bereitgestellt werden, die erstens statistisch repräsentativ sind und zweitens die Interdependenzen genau abbilden. Somit ist es durch diesen Ansatz möglich, alle als relevant identifizierten Mikrostrukturparameter unter Berücksichtigung ihrer statistischen Verteilungen und gegenseitigen Abhängigkeiten für die Erzeugung der 3D-SRVE zugänglich zu machen [Püt20b].

Abb. 7: Vergleich realer Trainingsdatensätze für das DN (links) mit den künstlichen Datensätzen des GN (rechts) durch Darstellung als Pairplot

 

Abbildung der realen Mikrostrukturen in 3D-SRVE

Das mit EBSD-Daten wie beschrieben trainierte WGAN liefert eine beliebige Zahl künstlicher Körner, die in allen betrachteten Parametern nicht mehr von den Trainingsdaten zu unterscheiden sind und deshalb für die Konstruktion von 3D-SRVE verwendet werden können. In der ersten Förderperiode wurde hierfür ein partikelbasiertes Verfahren vorgeschlagen [Hen20], welches ohne den Voronoi Algorithmus auskommt und deshalb auch dessen bekannte Schwächen (zum Beispiel die konvexe Kornform) nicht aufweist.

Im ersten Schritt der Erzeugung der 3D-SRVE werden die Kornmittelpunkte durch einen „Random Sequential Addition“-Algorithmus (RSA) positioniert. Um eine möglichst hohe Packungsdichte innerhalb des festgelegten Volumens zu erreichen, werden die Körner durch Ellipsoide approximiert und nach Größe sortiert in absteigender Reihenfolge platziert. Dabei wird das zu füllende Volumen zu einem dreidimensionalen Array diskretisiert, bei dem jeder Punkt im Volumen eine eindeutige Koordinate besitzt. Dies ermöglicht die eindeutige Zuweisung einzelner Punkte zu konkreten Körnern. Sobald nun ein Korn in dem diskretisierten Volumen positioniert wird, werden alle zugehörigen Punkte berechnet, in einem Array abgespeichert und auf Überlappung mit anderen Körnern überprüft. Kommt es tatsächlich zu einer Überschneidung, wird das Korn an einer anderen Stelle platziert. Die Prüfung auf Überschneidungen ist schematisch in Abb. 8 (oben) dargestellt [Hen20]. Wenn aber keine Überschneidung festgestellt wird, kann das Korn an der ausgewählten Stelle platziert werden. Anschließend werden die von dem zuletzt platzierten Korn eingenommenen Punkte für eine weitere Belegung gesperrt. Der beschriebene Vorgang wird solange fortgesetzt, bis alle Körner im Volumen platziert wurden (Abb. 8 unten). Bei der beschriebenen Anwendung des RSA fällt auf, dass dessen Geschwindigkeit mit zunehmender Füllung signifikant ansteigt. Dieser Zusammenhang liegt darin begründet, dass das Array für mögliche Besetzungspunkte mit zunehmender Raumfüllung immer kleiner wird [Hen20].

Nachdem alle ausgewählten Körner platziert sind, enthält das Volumen die auch im unteren Teil von Abb. 8 noch gut zu erkennenden Hohlräume, die es zu schließen gilt. Hierzu wird auf eine diskrete Wachstumsfunktion zurückgegriffen, nach der die Punktwolken, die die einzelnen Körner repräsentieren, schrittweise vergrößert werden. Dabei existiert keine festgelegte Reihenfolge für das Kornwachstum. Vielmehr wird die Reihenfolge für das Wachstum vor jedem Wachstumsschritt zufällig festgelegt, sodass die Körner im Mittel gleichmäßig wachsen. Wenn das angestrebte Volumen eines Korns erreicht ist, wird es nicht weiter von der Wachstumsfunktion berücksichtigt. Die Summe aller Maximalvolumina entspricht exakt dem Gesamtvolumen des 3D-SRVE, sodass die Körner am Ende des Wachstums den gesamten Würfel ausfüllen. Sollte ein Korn aufgrund ungünstiger geometrischer Umstände sein Maximalvolumen nicht erreichen können, so wird dies in einem Kontrollschritt am Ende an einem anderen zufällig ausgewählten Korn ausgeglichen. Die so erzeugten 3D-SRVE können bereits Simulationsrechnungen mit einem spectral solver, beispielsweise in DAMASK, zugeführt werden, weil dieser direkt mit dem Grid arbeiten kann. Sofern allerdings CPFEM-Simulationen erforderlich sind, müssen noch weitere Schritte zur Überführung des diskreten Grids in ein FE-Netz durchgeführt werden. Hierfür existieren unterschiedliche Ansätze, welche aktuell beim Antragsteller erprobt werden. Dabei handelt es sich zum einen um das B-Spline Volume Meshing, welches mit der Toolbox Open Flipper durchgeführt werden soll, und zum anderen das Pointcloud-Meshing, welches mit der C++ Bibliothek CGAL umgesetzt werden soll.

Abb. 8:     Schematische Darstellung der Funktionsweise des neuen RSA, bei dem eine Überschneidung zwischen zwei Körnern detektiert wurde (oben); gefülltes Volumen durch Platzierung aller ausgewählten Körner im Raum (unten).

 

Da in Stahl DP800 deutliche Bandstrukturen ersichtlich sind und diese von großer Bedeutung für die Schädigungsevolution sind, wurde zusätzlich ein Vorgehen entwickelt, mit dem diese Bänder realistisch in den 3D-SRVE dargestellt werden können [Hen20]. Dazu wird während der Anwendung des RSA ein definierter Bereich reserviert, in dem nur ein benutzerdefiniert festgelegter, geringer Anteil an Ferrit platziert werden darf. Abb. 9 zeigt ein nach dem partikelbasierten Ansatz erzeugtes 3D-SRVE, in dem zudem ein Martensitband konstruiert wurde [Hen20]. Eine detaillierte Konstruktionsmethode für den Martensit im 3D-SRVE mit Unterscheidung zwischen bandförmiger und inselartiger Einlagerung steht derzeit noch aus, soll aber unmittelbar zu Beginn der zweiten Förderperiode erfolgen. Für diese Berücksichtigung muss die Analyse der EBSD-Mikrostrukturdaten durch den ML-Algorithmus um den Parameter der Martensiteinlagerungsart erweitert werden.

Wie ausgeführt beruht der Ansatz zur Erzeugung der 3D-SRVE auf der Füllung eines diskretisierten Volumens und der Anwendung von diskreten Wachstumsfunktionen. Sämtliche Vorgänge während dieser Befüllung des 3D-SRVE-Volumens unterliegen dabei einer periodischen Anordnung. Sobald ein Voxel das Volumen auf einer der Würfelflächen verlässt, tritt es direkt auf der gegenüberliegenden Seite wieder in das Volumen ein. Dadurch ist garantiert, dass die erstellte synthetische Mikrostruktur eine periodische Geometrie aufweist [Hen20]. Im letzten Schritt werden den einzelnen Gefügebestandteilen konstitutive Materialgesetze zugewiesen. Zukünftig soll für jede Phase der Mikrostruktur auf das Kristallplastizitätsmodell aus TP C04 zurückgegriffen werden, um das auf der kristallografischen Orientierung beruhende anisotrope Materialverhalten abbilden zu können.

Abb. 9:     Fertiges SRVE nach dem neuen partikelbasierten Verfahren. Der Farbcodierung der Körner betrifft deren kristallographische Orientierung.

 

Vorbereitung auf die zweite Förderperiode: Mikrostruktursensitive Ermüdungsmodellierung

In der zweiten Förderperiode sollen die 3D-SRVE für Untersuchungen nach der ICME-Methodik eingesetzt werden. Ein Aspekt dieser Studie wird die Beschreibung des Mikrostruktureinflusses auf zyklische Werkstoff-

eigenschaften sein. Hierzu sind Ermüdungssimulationen auf Skala der Mikrostruktur vorgesehen, sodass nicht auf das makroskopische Modell aus TP C01 zurückgegriffen werden kann. Deshalb wurden als Vorarbeiten für die zweite Förderperiode Ansätze entwickelt, um zyklische Werkstoffeigenschaften durch SRVE-Simulationen zu bestimmen. Die Berechnung von zyklischen Eigenschaften aus dem HCF-Bereich mittels 2D-SRVE-Simulation erfolgte in [Gil17] für einen Stahl mit ferritisch-perlitischer Zusammensetzung. Infolge des guten Reinheitsgrads spielten in diesem Werkstoff die nichtmetallischen Einschlüsse nur eine untergeordnete Rolle in der Inkubationsphase. Da aber zu erwarten ist, dass im Einsatzstahl 16MnCrS5 infolge des erhöhten Schwefelgehalts und der damit verbundenen Einlagerung von MnS-Einschlüssen die Initiierung von Ermüdungsrissen besonders an nichtmetallischen Einschlüssen erfolgt, musste noch eine entsprechende Modellerweiterung erfolgen. Hier offenbarte sich die besondere Bedeutung der aus der Abkühlung nach dem Warmwalzen resultierenden Eigenspannungen im Bereich der Einschlüsse, die zunächst berechnet und anschließend auf das SRVE gemappt werden müssen, um die Rissentstehung im Bereich der Partikel mit ausreichender Genauigkeit zu reproduzieren, siehe Abb. 10 [Gu19]. Mit Hilfe dieser Methodik wurde im Anschluss systematisch der Einfluss der Einschlussgröße auf die zyklischen Eigenschaften im HCF-Bereich numerisch beschrieben und experimentell validiert [Gu19]. Die im Rahmen dieser Studien entwickelten Ansätze sollen in der zweiten Förderperiode aufgegriffen werden.

Abb. 10:  Akkumulation der plastischen Dehnung an Partikeln infolge zyklischer Last. Simulation unter Berücksichtigung von Eigenspannungsfeldern an Partikeln.

 

Fazit

Innerhalb der ersten Förderperiode wurden mit der Entwicklung des neuen Ansatzes zur Erzeugung von 3D-SRVE die Grundlagen für das schädigungstolerante Mikrostrukturdesign auf Basis von ICME-Methoden (ICME = Integrated Computational Materials Engineering) gelegt. Schädigung ist ein erheblich von der lokalen Mikrostruktur abhängiger Prozess, sodass der detailreichen Abbildung der Mikrostruktur eine entscheidende Bedeutung für das schädigungstolerante Mikrostrukturdesign beizumessen ist. Insofern sind die neuen ML-basierten Ansätze zur SRVE-Erzeugung besonders vielversprechend für die geplanten Arbeiten in der zweiten Förderperiode. Diese haben zum Ziel, den Einfluss der während der umformtechnischen Bauteilherstellung duktil induzierten Schädigung auf die Leistungsfähigkeit der Bauteile quantitativ zu beschreiben. Dabei werden sowohl der Ermüdungs- als auch der Crashlastfall betrachtet.

Zur Bewertung des mikrostrukturellen Einflusses auf die zyklischen Werkstoffeigenschaften wurden in den vergangenen Jahren beim Antragsteller erfolgreich Konzepte entwickelt. Diese berücksichtigen bisher noch nicht die Interaktion von zyklischen Schädigungsmechanismen mit einer während der Umformung eingebrachten duktilen Schädigung, jedoch ist die beim Antragsteller entwickelte Methodik geeignet für solche Untersuchungen. Deshalb soll dieser Aspekt in der zweiten Förderperiode herausgearbeitet werden, um durch mikrostruktursensitive Ermüdungsmodellierung Mikrostrukturen mit verbesserten zyklischen Eigenschaften unter Berücksichtigung der Schädigungszustände aus der Umformung bereitzustellen.

Literaturverzeichnis

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Projektleitung
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sebastian Münstermann
Lehr- und Forschungsgebiet für Werkstoff- und Bauteilintegrität
Institut für Eisenhüttenkunde (IEHK) der RWTH Aachen

Projektbearbeitung
Niklas Fehlemann M. Sc.,
Felix Pütz M. Sc. (1. Förderperiode)
Lehr- und Forschungsgebiet für Werkstoff- und Bauteilintegrität
Institut für Eisenhüttenkunde (IEHK) der RWTH Aachen