Ziel des Teilprojekts B04 ist die Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses der physikalischen Mechanismen von Schädigungsentstehung und -entwicklung bei der Umformung am Beispiel der Werkstoffe 16MnCrS5 und DP800. Mithilfe moderner elektronenmikroskopischer Verfahren sollen die bei der Umformung ablaufenden Prozesse von der Kaltverfestigung, der Lokalisierung der Plastizität und der Ausbildung von Eigenspannungen korreliert werden mit den mikroskopischen Mechanismen der Schädigungsentstehung. Die Einflüsse der plastischen Prozesse auf Porenbildung, Porenwachstum und Porenvereinigung sind in erheblichem Maße vom Lastpfad (Spannung, Dehnung, Dehnrate und resultierende Temperatur) abhängig. Die lastpfadabhängigen Zusammenhänge zwischen Kaltverfestigung, Eigenspannungen und den lokalen Schädigungsereignissen sollen im vorliegenden Teilprojekt ermittelt und daraus Vorhersagen für eine kontrollierte schädigungsreduzierende Umformstrategie entwickelt werden.
In der ersten Förderperiode wurde die effiziente Quantifizierung und Charakterisierung von Schädigung anhand des bei der Massivumformung verwendeten Einsatzstahls 16MnCrS5 vornehmlich im Rasterelektronenmikroskop durchgeführt. Als maßgeblich auftretende Mechanismen der Schädigungsentstehung wurden Dekohäsion an Grenzflächen zu Einschlüssen sowie der Bruch von Einschlüssen identifiziert. Durch das Ausarbeiten einer verlässlichen Quantifizierungsmethode für Schädigung wurde gezeigt, dass die Triaxilität beim Fließpressen die Bildung von Schädigung maßgeblich beeinflusst. Messungen der geometrisch notwendigen Versetzungsdichte (GND) zeigten, dass verschiedene Bauteile mit identischem Umformgrad, die mit variierenden Prozessparametern gefertigt wurden, die gleichen GND Werte besitzen, sich allerdings im Schädigungsgrad unterscheiden. Umformgrad, Verfestigung und Schädigung konnten somit erfolgreich separiert werden.
Ziel der zweiten Förderperiode ist ein fundamentales Verständnis der im Material auftretenden Prozesse bei der Schädigungsentstehung und beim Übergang zum Versagen. Dazu werden die im Material auftretenden Grenzflächen an Einschlüssen oder Zweitphasen sowie nach aufgetretener Schädigung die direkte Porenumgebung gezielt mit hochauflösenden Methoden untersucht.
Die zum Einsatz kommenden Techniken sind zum einen solche, die im Rasterelektronenmikroskop (REM) angewandt werden, wie hoch winkelaufgelöstes EBSD (HR-EBSD) zur Untersuchung lokaler Dehnungszustände und Electron Channeling Contrast Imaging (ECCI) zur Untersuchung der Versetzungsstruktur. Als neue Methode kommt hier die Transmission Kikuchi Diffraction (TKD) an FIB-Lamellen zum Einsatz, die im Vergleich zu EBSD eine gesteigerte Ortsauflösung bietet. Zum anderen werden vermehrt auch Untersuchungen im Transmissionselektronenmikroskop (TEM) erfolgen. Die Untersuchung im konventionellen TEM kommt für Bereiche zum Einsatz, die für REM zu fein bzw. zu stark verformt sind. Als Keimbildungsstufe der Schädigungsinitiierung wird die Entstehung und Entwicklung von Poren und Kurzrissen an inneren Grenzflächen, z. B. Korn- und Phasengrenzen oder auch Einschlüssen sowie an Inhomogenitäten der Oberflächentopografie untersucht. Als neuartige Methode dient hier das automatisierte Kristallorientierungsmapping im TEM (ACOM-TEM) der höher ortsaufgelösten Untersuchung von Beugungsaufnahmen analog zur EBSD-Untersuchung im REM.
Im Hinblick auf die dritte Förderperiode werden die Untersuchungen bereits jetzt auf die Interaktion von duktiler Schädigung mit zyklischer Belastung in Bezug auf Rissentstehung und Rissausbreitung ausgedehnt. Hierzu werden zyklische Biegeversuche im GK-REM durchgeführt und nachfolgend auf Dehnungslokalisation untersucht. Dieses soll zur Simulation der Umformbedingungen wahlweise bei Temperaturen bis zu 800°C erfolgen. Zur In-situ-Beobachtung der Mikrostrukturentwicklung im Hinblick auf Phasenumwandlungs- und Rekristallisationsprozesse werden erhöhte Temperaturen bis über 1000°C im GK-REM eingesetzt.
Wichtige Ergebnisse der 1. Förderperiode
Die Charakterisierung und effiziente Quantifizierung von Schädigung anhand des bei der Massivumformung verwendeten Einsatzstahls 16MnCrS5 wurde vornehmlich im Rasterelektronenmikroskop (REM) durchgeführt. Als maßgeblich auftretende Mechanismen der Schädigungsentstehung wurden Dekohäsion an Grenzflächen zu Einschlüssen sowie der Bruch von Einschlüssen identifiziert. Eine verlässliche Schädigungsquantifizierungsmethode wurde entwickelt, die automatisiert, mithilfe von Elementinformationen aus energiedispersiven Röntgenspektroskopie (EDX)-Messungen Poren und Einschlüsse im Rasterelektronenmikroskop unterscheidet. Mit dieser Methode wurde bestätigt, dass die Triaxialität beim Fließpressen die Bildung von Schädigung maßgeblich beeinflusst. Messungen der geometrisch notwendigen Versetzungsdichte (GND) zeigten, dass verschiedene Bauteile mit identischem Umformgrad, die mit variierenden Prozessparametern gefertigt wurden, die gleichen GND Werte besitzen, sich allerdings im Schädigungsgrad unterscheiden. Umformgrad, Verfestigung und Schädigung konnten somit erfolgreich separiert werden.
Einleitung und Stand der Forschung
Die Evolution der Schädigung bei Umformprozessen zu verstehen ist eins der zentralen Ziele. Durch die Arbeit von Zapara et al. [Zap14] war bekannt, dass in Einsatzstählen, wie das von ihnen untersuchte 20MnCr5, die duktile Schädigung überwiegend an Einschlüssen (z.B.: Mangansuflid MnS) auftritt und durch mikromechanisch-numerische Modelle vorhergesagt werden kann.
Die Bewertung eines Schädigungszustandes einer Probe ist komplex. Methoden, die die Schädiung über Veränderungen mechanischer Eigenschaften wie zum Beispiel Härte [Tas09] oder E-Modul [Bon11] messen, sind unzureichend, da Effekte wie Verfestigung, Eigenspannung und Mikrostrukturänderungen nicht von der Schädigung separiert werden.
Fortschritte in der Elektronenmikroskopie erlauben es, diese physikalischen Effekte immer besser zu differenzieren. Das von Zaefferer [Zae14] entwickelte Electron Channeling Contrast Imaging gestattet die Untersuchung von Versetzungen, die die Ursache für Verfestigung sind. Durch die von Wilkinson et al. [Wil06] entwickelten und von Britton [Bri12] erweiterten Methoden lassen sich Eigenspannungen aus hochwinkelaufgelösten EBSD Messungen berechnen. Arbeiten mit diesen Methoden sind besonders im Hinblick auf die Untersuchung von duktiler Schädigung in Einsatzstählen wenig verbreitet [Gia19].
Im Folgenden werden Zunächst die Ergebnisse der Untersuchung der Schädigungsentwickelung behandelt. Darauf folgt die Beobachtung der Schädigungsevolution im Großkammer (GK) REM, die Untersuchungen der Verfestigung und Versetzungen, sowie die Bestimmung der Eigenspannung. Zuletzt werden die Erkenntnisse der vorhergehenden Untersuchungen in einer Mechanismenkarte zusammengefasst.
Untersuchung und Quantifizierung der Schädigungsentwicklung
Zur quantitativen Bestimmung der Schädigung wurde eine effiziente, automatisierte Methode entwickelt, die im Folgenden vorgestellt wird.

Ein effizienter Ansatz zur Quantifizierung von Schädigung ist die Bestimmung der Porenflächen in Bildaufnahmen [Tas12], sofern der Einfluss der Präparation berücksichtigt wird. Die Schädigung wird hierbei direkt abgebildet, ohne Einflüsse von Verfestigung oder Eigenspannungen zu berücksichtigen. Da die Porenflächen in 16MnCrS5 im µm² Bereich liegen und in der optischen Mikroskopie nur schwer von den MnS-Einschlüssen unterschieden werden können, muss für eine erfolgreiche Quantifizierung auf die Rasterelektronenmikroskopie zurückgegriffen werden. Hierfür wurde die automatisierte EDX-Partikelzählung der Analyse-Software EDAX Genesis (Version 6.53) modifiziert, sodass diese Methode für die Quantifizierung von Poren verwendet werden konnte. Durchgeführt wurden alle diese Versuche in einem Feldemissions-Rasterelektronenmikroskop (JEOL JSM 7000F). Durch einen Graustufenabgleich von Rückstreuelektronenbildern werden zuerst Objekte verschiedener Graustufen zu unterschiedlichen Klassen zusammengefasst (Abb. 1a & b). An diesen Objekten werden anschließend EDX-Spektren aufgenommen. An den mit verschiedenfarbigen Pfeilen markierten Stellen wird beispielhaft gezeigt wie die Klassifizierung von Poren abläuft. Da die Pore selbst kein charakteristisches Röntgensignal erzeugt, ist das gemessene Signal abhängig von dem Anregungsvolumen des Elektronenstrahls am Grund der Pore (Abb. 1f). Das EDX-Spektrum der mit dem roten Pfeil markierten Stelle (Abb. 1c) zeigt im Wesentlichen das Element Eisen aus dem Matrixmaterial. Hierbei handelt es sich also um eine tiefere Pore, an deren Grund bereits das Matrixmaterial vorliegt. Die EDX-Spektren der mit schwarzen und blauen Pfeilen markierten Stellen zeigen eine sehr ähnliche Elementverteilung, die in beiden Fällen eindeutig auf das Vorhandensein eines MnS-Einschlusses hinweist (Abb. 1d & e). Aus dem Rückstreuelektronenbild (Abb. 1a) ist jedoch bekannt, dass sich an der blauen Stelle aufgrund der niedrigen Intensität entweder eine Pore oder ein leichtes Element wie zum Beispiel Kohlenstoff oder Aluminium befinden muss. Da kein leichtes Element gefunden wird, kann diese Stelle eindeutig als kleine Pore klassifiziert werden. Aus der Betrachtung von Bild- und Elementinformation können so Poren, verschiedene Einschlüsse oder aber auch Verunreinigungen der Probe erkannt und quantifiziert werden. Der Prozess läuft automatisiert, sodass auch größere Flächen (durchschnittlich ca. 1.5mm²) bei hohen Vergrößerungen untersucht werden können.
Mithilfe dieses methodischen Ansatzes konnte erstmalig die Partikelanalyse zur Quantifizierung von duktiler Schädigung anhand der Porenflächen in umgeformter Bauteile verwendet werden. Diese automatisierte Methode wurde für verschiedene Materialklassen und Umformprozesse genutzt und wurde, wie im Folgenden vorgestellt werden soll, wesentlich für die Bewertung der Schädigung in kooperierenden Teilprojekten eingesetzt. De Schädigung in fließgepressten 16MnCrS5 Bauteilen wurde mithilfe dieser Methode bestimmt. Positive maximale Triaxialitäten ηmax führten zu einer deutlichen Erhöhung der Porenfläche. Dagegen zeigten niedrige Triaxialitäten eine Reduktion der Porenfläche beim Umformprozess. Dies wurde sowohl in der Porenverteilung, als auch in der Gesamtporenfläche festgestellt [Her19]. Es wurde bestätigt, dass die maximale Triaxialität, die während des Umformprozesses durchlaufen wird, der maßgebliche Faktor ist, der zur Erhöhung des Schädigungsgrades führt. In den untersuchten Beispielen wurde somit auch gezeigt, dass der Umformgrad eine untergeordnete Rolle spielt.
Die Schädigungsquantifizierung ließ sich mit der entwickelten Methode nicht nur auf fließgepresste Bauteile anwenden. In warmgewalzten Proben, die grundsätzlich wenig Schädigung aufwiesen, wurde gezeigt, dass ein erweitertes Gurson-Tvergaard-Needleman (GTN) Modell die Schädigungsentwicklung unter Berücksichtigung von Rekristallisation qualitativ vorhersaget [Imr20]. Ein durchgeführter Ringversuch, belegt, dass unsere Quantifizierungsmethode bei erneuter Anpassung der Messparameter auch für den DP800 einsetzbar ist und vergleichbare Ergebnisse mit der Methode aus B02 liefert [Kus19].
Im In-situ Biegeversuch beobachtete Schädigungsmechanismen
Um die Entstehung und Entwicklung der bisher vorgestellten Schädigung zu verstehen, wurden in-situ Biegeversuche im Großkammer REM durchgeführt. Biegeproben wurden aus dem Stangenmaterial längs und quer zur Walzrichtung entnommen und metallografisch präpariert. Die MnS Einschlüsse waren je nach Entnahmerichtung der Biegeprobe parallel oder senkrecht zur Zugbelastung gerichtet. Die Oberfläche der Biegeprobe (unter Zugbelastung) wurde während des Versuchs beobachtet.

In Abb. 2 sind die geometrischen Maße des in-situ Biegeversuches, eine Kraft-Weg Kurve, sowie die Entstehung von Schädigung an MnS-Einschlüssen bei unterschiedlicher Biegeauslenkung dargestellt. An dem Mangansulfid, der parallel zur Zugbelastung orientiert ist, ist ab einer Auslenkung von 5 mm ein Bruch zu erkennen. Im weiteren Verlauf bricht der Einschluss an weiteren Stellen und löst sich von der Stahlmatrix ab. Ist der Einschluss senkrecht zur Zugbelastung orientiert ist ein Brechen nicht zu erkennen, es kommt jedoch zur Delamination und die Pore wächst mit zunehmender Auslenkung. Die umliegende duktile Stahlmatrix bildet Scherbänder als Folge der Zugbelastung, bleibt jedoch intakt. Die in den fließgepressten Bauteilen untersuchte Schädigung (Abb. 1a) zeigt auch gebrochene und delaminierte Einschlüsse, da das Material beim Fließpressen auch einer Zugbelastung ausgesetzt ist und die MnS-Einschlüsse parallel zu dieser orientiert sind. Somit helfen diese Beobachtungen zu verstehen, wie Schädigung beim Fließpressen entsteht und sich mit zunehmender Dehnung entwickelt. Sie zeigen, dass die Schädigung anisotrop ist und in der Modellierung so berücksichtigt werden muss.
Die Bilder des in-situ Versuches wurden zusätzlich noch mit digitaler Bild-Korrelation (Abb. 3) ausgewertet, um die Oberflächendehnung zu untersuchen. In direkter Nähe von Poren ist tendenziell eine geringere Zunahme der Oberflächendehnung festzustellen. So ist es möglich diese Informationen lokal und quantitativ zu erfassen.

Bewertung der Verfestigung mithilfe von EBSD
Neben der Schädigung ist die lokale Verfestigung der wichtige physikalische Parameter, der den Umformprozess beeinflusst. Um den Einfluss der Schädigung von dem der Verfestigung zu separieren, muss auch diese quantifiziert werden. Die Verfestigung resultiert in Stählen aus der Anhäufung von mikrostrukturellen Versetzungen, weshalb diese im genauer untersucht wurden.

Um Informationen über die Mikrostruktur zu erhalten, wurden Elektronenrückstreubeugungsuntersuchungen (EBSD) an vollvorwärtsfließgepressten 16MnCrS5 Einsatzstahlproben durchgeführt, sowie Referenzmessungen an 16MnCrS5 Material im Ausgangszustand. Durchgeführt wurden diese Untersuchungen am vorher erwähnten REM mithilfe einer Hikari Kamera, TSL OIM Data Collection 7.3 und ausgewertet mit TSL OIM Analysis 8.0. Aus den EBSD-Messungen ließen sich viele für die Beurteilung der Bauteile nützliche Informationen ableiten (Abb. 4) – z.B. die Texturentwicklung, welche direkt in das Modellierungsprojekt C04 einfließt. Die Kornstruktur des ferritisch-perlitischen Gefüges lässt sich anhand der EBSD-Beugungsbilder und deren „Image Quality“ erkennen (Abb. 4a). MnS-Ausscheidungen, die eine unterschiedliche Kristallstruktur und daher auch ein anderes Beugungsmuster besitzen, können so von der Stahlmatrix unterschieden werden (gelb markiert). Da bei Korngrenzen das Anregungsvolumen des Elektronenstrahls aus unterschiedlich orientierten Körnern überlagernde Beugungsbilder erzeugt, führt das zu einer Verringerung der Image Quality. Im Ausgangszustand liegen große MnS-Ausscheidungen entlang der Walzrichtung vor. Nach dem Fließpressen mit höheren Umformgraden ist die Kornstruktur aufgrund von Orientierungsgradienten weniger deutlich, die MnS-Ausscheidungen weisen Poren auf und mehrere Kleinwinkelkorngrenzen (5-15°) sind zu sehen.
Die Kristallorientierung der Körner ist in Abb. 4b dargestellt. Im Ausgangszustand liegen die Körner in überwiegend gleichmäßiger, statistischer Verteilung vor, während bei zunehmendem Umformgrad sich die Körner überwiegend in Richtung zur Fließpressrichtung ausrichten (Grün). Dies lässt sich auch aus den entsprechenden Polfiguren (Abb. 4c) ablesen, in der die relative Häufigkeit der Messpunktorientierung dargestellt ist. Im Ausgangszustand ist die relative Häufigkeit der Orientierung in allen Raumrichtungen etwa 1, was zufälliger Verteilung entspricht. Bei dem Umformgrad φ = 0,5 ist die Verteilung der Messpunkte drei- bis vierfach so häufig in gerichtet und bei φ = 1,0 sogar ca. sechs- bis siebenfach. Diese Orientierungsänderung entspricht dem zu erwarteten Abgleiten der Kristallebenen um 45° unter Zugbelastung [Ash12].

Aus den Orientierungsgradienten benachbarter Messpunkte kann unter Berücksichtigung des Kristallsystems (Gitterparameter/Gleitebenen) die geometrisch notwendige Versetzungsdichte (GND) berechnet werden [Fie05]. Die GND ist die Versetzungsdichte die notwendig ist, um die Orientierungsänderung benachbarter Messpunkte zu realisieren. Sie wird verwendet um die Verfestigung zu bewerten und ist in Abb. 5 dargestellt. Im Ausgangszustand ist die GND über das Material verteilt sehr gering. Mit zunehmendem Umformgrad steigt auch die gemessene GND homogen über die gesamte Messfläche. Diese Information ist hilfreich, um den Einfluss der Schädigung auf die mechanischen Eigenschaften von Bauteilen von dem Einfluss der Verfestigung zu separieren. Darüber hinaus ist die Messung der GNDs essentiell, um erweiterte kristallplastische Modelle entwickeln zu können.
Untersuchung einzelner Versetzungen via ECCI
Mithilfe von Electron Channeling Contrast Imaging (ECCI) ist es möglich, einzelne Versetzungen darzustellen und zu untersuchen. Dafür muss ein untersuchtes Korn in Bragg-Bedingung gekippt werden, sodass kleinste Orientierungsabweichungen, erzeugt durch Versetzungen, eine Kontraständerung im Rückstreuelektronenbild hervorrufen. Durchgeführt wurden diese Untersuchungen am Zeiss Gemini SEM 300, bei einer hohen Elektronenenergie (30 keV) und einem niedrigen Arbeitsabstand (WD ≈ 6mm).

Für fließgepresste Proben ergeben sich bei dieser Methode jedoch Schwierigkeiten. Die plastische Umformung des Fließpressens ändert die Kornstruktur stark, was es unmöglich macht, größere Bereiche in Bragg-Bedingung zu orientieren. In Abb. 6a ist neben dem MnS-Einschluss keine eindeutige Kornstruktur erkennbar. Auch bei höherer Vergrößerung Abb. 6b sind zwischen den Zementit-Lamellen aufgrund der hohen, sich überlagernden Versetzungsdichte die einzelnen Versetzungen nur schwer voneinander zu unterscheiden. Um dieses Problem zu vermeiden, wurden ECCI-Untersuchungen an eigens im (in-situ) Biegeversuch umgeformten Proben durchgeführt (dargestellt in Abb. 7). Aufgrund der geringen Änderung der Kornstruktur und der niedrigen Versetzungsdichte sind einzelne Ferritkörner und Perlitkörner mit Zementit-Lamellen, auch bei geringer Vergrößerung leicht zu erkennen. Durch Erhöhen der Vergrößerung im rotmarkierten Feld (Abb. 7b) ist an der Einschlussspitze eine Ansammlung an Versetzungen zu erkennen, was die Versetzungsbewegung zeigt, die für die duktile Porenbildung nötig ist.

Untersuchungen dieser Art befinden sich jedoch noch in der Anfangsphase und müssen in Zukunft weiterhin vertieft werden, um einen systematischen Zusammenhang festzustellen. Diese Informationen helfen, die zu Grunde liegenden physikalischen Mechanismen zu verstehen, und sollen in mikromechanischen Modellen berücksichtigt werden.
Untersuchung der mikrostrukturellen Eigenspannung
Ein weiteres, während der Umformung wichtiges physikalisches Phänomen ist die Ausbildung von Eigenspannungen. Mittels Kreuzkorrelation von EBSD-Pattern [Wil06] lassen sich Eigenspannungen dritter Art berechnen. Dazu werden Beugungsbilder von EBSD Messungen verwendet, die durch konstruktive Interferenz des Elektronenstrahls mit dem Kristallgitter entstehen. Kleinste Abweichungen und Störungen im Beugungsbild werden innerhalb eines Kornes in einer Kreuzkorrelationssoftware mit Subpixel-Auflösung miteinander verglichen. Aus diesen Abweichungen lassen sich Gitterdehnungen bestimmen, mit denen die Eigenspannungen berechnet werden. Im Arbeitspaket 4 sind solche hoch-winkelaufgelösten (HR) EBSD Messungen aufgenommen worden, um die Eigenspannungen dritter Art und deren Wechselwirkung mit der Schädigung zu untersuchen.

Für eine wie im letzten Abschnitt gezeigte Biegeprobe ist diese Untersuchung an verschiedenen Stellen des Querschnitts der Probe durchgeführt worden (Abb. 8a). Entlang des Querschnitts herrschen unterschiedliche Belastungen vor: An der Oberseite steht das Material unter Zugspannung, in der Mitte des Querschnittes liegt die neutrale Faser (in der die Probe quasi im Ausgangszustand vorliegt) und die Unterseite der Biegeprobe steht unter Druckspannung. Die gemessenen Eigenspannungen über den Biegequerschnitt variieren innerhalb der Körner stark. Der Verlauf der Eigenspannung, verglichen an den unterschiedlichen Stellen, spiegelt jedoch qualitativ die makroskopischen Spannungszustände wider, mit einer durchschnittlich niedrigeren von Mises Vergleichsspannung in der neutralen Faser (Abb. 8c) und höheren Spannungen auf Zug und Druckseite (Abb. 8b & d). Für eine quantitativ zuverlässigere und genauere Interpretation, z.B. der drei Körner mit hohen Eigenspannungen in der neutralen Faser sind noch weitere Untersuchungen nötig.
Ähnlich wie bei den ECCI-Untersuchungen, stellt die hohe plastische Verformung beim Fließpressen Schwierigkeiten für diese Untersuchung dar, da die Körner starke Orientierungskontraste und keine ungestörten Referenzstellen aufweisen. In Abb. 9 ist eine HR-EBSD Messung an einer mit φ = 0,3 fließgepressten Probe gezeigt. Die Kornorientierung, Einschlüsse und Poren sind durch die hohe Winkelauflösung der Pattern gut zu erkennen (Abb. 9a). Durch den hohen Orientierungsgradienten ist keine genaue Eigenspannungsquantifizierung möglich. Qualitativ ist jedoch eine relativ niedrige Spannung in Porennähe zu erkennen (schwarze Ellipse in Abb. 9b), was darauf hindeutet, dass durch die Bildung von Poren die Eigenspannungen abgebaut werden. Dies stimmt auch mit den DIC-Untersuchungen der in-situ Biegeversuche überein, bei der niedrige Vergleichsdehnungen bei Porenbildung beobachtet werden (Abb. 3).

Mechanismenkarte
Eine aus gesammelten Schädigungsquantifizierungsergebnissen an fließgepressten Proben erstellte Mechanismenkarte (Abb. 10) stellt die Abhängigkeit des Porenwachstums von der Triaxialität dar. Niedrige Triaxilitäten im Bereich von -0,25 bis -0,6 zeigen keine Änderung der Porenfläche zum Ausgangszustand. Bei sehr stark negativen Triaxialitäten (die einem Spannungszustand mit hohem hydrostatischen Druck entsprechen) kommt es zu einer sehr starken Porenflächenreduktion. Hohe Triaxialitäten begünstigen hingegen das Porenwachstum und führen zu stark geschädigten Proben. Bezogen auf die Triaxialität entsprechen die gezeigten Ergebnisse genau den Erwartungen, der Umformgrad selbst spielt nur indirekt eine Rolle. Durch Einstellen des Spannungszustands ist es also möglich, unterschiedlich stark geschädigte Proben bei gleichem Umformgrad herzustellen.

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Projektleitung
Dr. rer. nat Anke Aretz
Gemeinschaftslabor für Elektronenmikroskopie (GFE), RWTH Aachen
Dr. rer. nat. Alexander Schwedt
Gemeinschaftslabor für Elektronenmikroskopie (GFE), RWTH Aachen
Projektbearbeitung
Anthony Dunlap M. Sc.
Gemeinschaftslabor für Elektronenmikroskopie (GFE), RWTH Aachen