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Projektbeschreibung

Die speziellen Eigenschaften moderner metallischer Werkstoffe werden weniger durch ihre chemische Zusammensetzung als vielmehr durch ihre Mikrostruktur bestimmt. Während der Formgebungsprozesse von Metallen zu Bauteilen bilden sich im Werkstoff fertigungsbedingte Vorschädigungen, die sich entlang der umformtechnischen Prozesskette durch Wachstum und Koaleszenz von Poren zu duktiler Schädigung entwickeln und das Bauteilverhalten stark beeinflussen können. Insbesondere für moderne Stähle mit mehrphasiger Mikrostruktur sind die Zusammenhänge zwischen der Werkstoffvorschädigung im Halbzeug und der Schädigungsentwicklung entlang der umformtechnischen Prozesskette zum Endprodukt bisher nur unzureichend bekannt. Daher soll am Beispiel von ferritisch-martensitischen Dualphasenstählen (DP800) in diesem Teilprojekt B02 ein grundlegendes physikalisches Verständnis der zugrundeliegenden Schädigungsmechanismen erarbeitet werden.

Der Schwerpunkt der Arbeiten lag in der ersten Förderperiode auf der Identifizierung und Charakterisierung der Initiierungsmechanismen der duktil induzierten Schädigung unter ein- und biaxialer Belastung. Dabei wurden mittels großflächiger und zugleich hochauflösender Rasterelektronenmikroskopie (REM) statistisch relevante Bildinformationen zu den einzelnen Schädigungsmechanismen (Martensitbruch, Phasengrenzenablösung und Korngrenzendekohäsion) aufgenommen und mit den lokalen und globalen Lastpfaden korreliert. Um eine zuverlässige und repräsentative Evaluierung der Vielzahl an untersuchten Proben zu ermöglichen, wurde der gesamte Vorgang (Aufnahme, Identifikation und Charakterisierung) durch die Verwendung eines neuartigen Ansatzes automatisiert. Dabei wurden die großen aufgenommenen Datenmengen mithilfe neuronaler Netze erkannt, sortiert und analysiert. Neben den für diese Arbeiten durchgeführten Experimenten mit Ex- und In-situ-Verformung über unterschiedliche Lastpfade wurden in der ersten Förderperiode auch nanomechanische Untersuchungen am Ausgangswerkstoff 16MnCrS5 vorgenommen. Dabei wurde die Ausscheidungsphase MnS mittels Nanoindentierung und Mikrokompression bei Raumtemperatur mechanisch charakterisiert, um grundlegende Modellparameter für die Simulation der Kristallplastizität von MnS zu ermitteln.

In der zweiten Förderperiode soll die Untersuchung der Schädigung derart erweitert werden, dass auch die Interaktion von Schädigungsmechanismen behandelt wird. Dabei wird die Interaktion von Schädigungsentstehung und –evolution in Abhängigkeit von Mikrostruktur und Lastpfadvariation betrachtet. Außerdem wird die mikrostrukturelle Betrachtung der Schädigung, die bis jetzt anhand zweidimensionaler REM-Abbildungen untersucht wurde, nun auf 3 Dimensionen erweitert. Ein weiteres Kernziel der zweiten Förderperiode ist die Erweiterung der mikromechanischen Charakterisierung von Raumtemperatur auf höhere Temperaturen (bis 800°C) sein, um den Einfluss der Temperatur und der Dehnrate auf die Schädigungsentwicklung im 16MnCrS5-Einsatzstahl zu untersuchen und essenzielle Modellparameter für den Bereich C zu ermitteln. Ferner wird für diese Förderperiode die experimentelle Validierung und Quantifizierung schädigungstoleranter Mikrostrukturen in enger Zusammenarbeit mit Teilprojekten aus den Bereichen A und B wichtig sein. Ziel dieser Arbeiten ist es, metallphysikalische Kriterien für Schädigungsminimierung entlang der Prozesskette zu gewinnen.

In der dritten Förderperiode sollen, auf Basis der in den vorherigen Förderperioden ermittelten Schädigungsmechanismen und deren Interaktion Werkstoff- und Prozessdesignansätze zur Schädigungskontrolle auf der Mikro- und Mesoskala abgeleitet und validiert werden. Dies soll in Abhängigkeit von Umformprozessen, Mikrostruktur und Phasenbestandteilen sowie in Zusammenarbeit mit experimentellen und theoretischen Teilprojekten des TRR 188 geschehen. Zusätzlich soll die Übertragbarkeit der bisher erarbeiteten Deep-Learning-Methoden zur quantitativen Schädigungsanalyse auf weitere im TRR 188 ausgewählte Werkstoffe evaluiert werden.

 

Wichtige Ergebnisse der 1. Förderperiode

Methodenentwicklung zur hochauflösenden und statistischen Analyse der Schädigungsmechanismen

Die Mikrostruktur eines typischen Dualphasenstahles, wie der im TRR 188 untersuchte DP800, ist durch eine heterogene Phasenverteilung über Blechdicke und -querschnitt geprägt. Zur Analyse der ablaufenden Mechanismen der Initiierung von Schädigung ist daher eine ausreichend große Stichprobengröße zur statistisch relevanten Analyse notwendig. Gleichzeitig jedoch muss ein Auflösungsvermögen gewährleistet sein, welches eine genaue Betrachtung der einzelnen Schädigungsstellen und somit fundierte Rückschlüsse auf den abgelaufenen Schädigungsmechanismus erlaubt. Als Schädigungsmechanismen werden üblicherweise Ablösung der Martensit / Ferrit-Phasengrenze, Sprödbruch einzelner Martensitinseln sowie vereinzelt auch eine Schädigung entlang Ferritkorngrenzen betrachtet [Gha10]. Ziel der Arbeit im Teilprojekt war es daher, die Mechanismen mittels eines automatisierten Ansatzes zu separieren und automatisch zu erkennen bzw. zu klassifizieren. Auf diese Weise wird eine Auswertung von großflächigen, hochauflösenden Rasterelektronenmikroskop (REM)-Aufnahmen über eine Fläche von 1 mm² aufgrund der eingeschränkten menschlichen Analysezeit erst realistisch möglich. Der im Teilprojekt entwickelte Ansatz beinhaltet sämtliche erforderlichen Schritte einer solchen Auswertung von der Detektion der Schädigungsstellen als Poren mittels eines Grauwert-Schwellwertes (unabhängig vom zugrunde liegenden duktilen oder spröden Mechanismus), der Klassifizierung der Ursprünge mittels Deep Learning und der Vermessung der einzelnen Schädigungsstellen, Abb. 1 [Kus19a].

Zur Klassifizierung kommen zwei neuronale Netze (Convolutional Neural Networks, CNNs) zum Einsatz, welche zunächst eine Unterscheidung zwischen Schädigungsstellen der umforminduzierten Schädigung und Schädigungsstellen anderen Ursprungs (z.B. Einschlüsse) vornehmen. In einem zweiten Schritt wird eine Aussage über den zugrunde liegenden Schädigungsmechanismus getroffen.

Abb. 1: Schematische Darstellung der Erkennung von Schädigungsstellen als Poren unabhängig vom zu grundeliegenden Mechanismus und anschließender automatisierter Klassifizierung von Einschlüssen und verformungsgetriebenen Schädigungsmechanismen mittels neuronaler Netze in großflächigen, hochauflösenden REM-Bildern [Kus19a].

 

Diese Methode wird in [Kus19a] im Detail beschrieben und ermöglicht erstmals das Auswerten aller auf einer großflächigen (~1 mm²) Panorama-REM-Aufnahme sichtbaren Schädigungsstellen. Hierdurch konnte die zentrale Fragestellung nach dem dominanten Mechanismus der Schädigungsinitiierung in der verwendeten Mikrostruktur [Kad11] adressiert und der Einfluss des Lastpfades auf die Schädigung in quantitativer und statistisch relevanter Form untersucht werden. Die Methode wurde bereits erfolgreich an technologischen Proben angewendet und innerhalb des Arbeitskreises „Effiziente Schädigungscharakterisierung“ mit weiteren im TRR 188 entwickelten Methoden zur Charakterisierung von Schädigungsstellen quantitativ verglichen, um konsistente und vergleichbare Ergebnisse zu erhalten [Kus19b].

In- und Ex-situ-Verformungsversuche im Rasterelektronenmikroskop

Die entwickelte Methode zur automatisierten Schädigungsdetektion und -charakterisierung wurde in der ersten Förderperiode im TP B02 auf bis zu unterschiedlichen Dehnungen im einachsigen und biaxialen Zugversuch verformte Proben aus Dualphasenstahl angewendet. Prinzipiell wurde hier zwischen In- und Ex-situ-Versuchen unterschieden. Da im In-situ-Versuch aufgrund der freien Oberfläche zur Bildgebung eine Änderung des Spannungszustandes auftritt, muss ein Einfluss des Spannungszustands an der Oberfläche auf die Schädigungsentwicklung mit betrachtet werden [Gha10]. Der Vergleich der Schädigung mit dem Ex-situ-Versuch ist daher essenziell. Hierzu wurde im Teilprojekt die Dominanz der einzelnen Schädigungsmechanismen im uniaxialen Zugversuch in Abhängigkeit der Dehnung analysiert [Kus19a]. Bei niedrigen Dehnungen zeigte sich dabei eine Dominanz des Martensitbruchs. Dagegen nimmt bei höheren Dehnungen der Anteil der Phasengrenzablösung zu, wobei die charakteristische Form eines spröden Risses durch plastisches Fließen beim weiteren Wachstum der Schädigungsstellen aufgeweicht wird. Ebenfalls konnte mittels der neuen Analysemethode auf Basis neuronaler Netze quantifiziert werden, wie groß der Fehler ist, wenn Einschlüsse in der quantitativen Analyse von Schädigungsstellenanzahl oder -fläche nicht von verformungsinduzierter Schädigung separiert werden, z.B. >50% im Bereich der einsetzenden Schädigung bei kleinen Dehnungen. Weiterhin wurden biaxiale Zugversuche durchgeführt. Wie in Abb. 2 dargestellt, ergab sich aus den vermessenen Hauptachsenwinkeln der identifizierten Martensitbrüche im uniaxialen Zugversuch eine Verteilung um einen 90° zur Zugrichtung orientierten Querriss der Martensitinseln. Die klare Zuordnung dieses Verhaltens zu einem rein normalspannungsdominierten Sprödbruch ist jedoch erst durch die korrespondierende Statistik der Martensitbrüche im biaxialen Spannungszustand möglich. Hier wurde eine annähernde Gleichverteilung festgestellt, sodass kein Anzeichen auf eine etwaige Anisotropie der mittleren Bruchzähigkeit des Martensits in der Blechebene vorliegt.

Abb. 2: Winkel der detektierten Martensitbrüche im biaxialen (a) und uniaxialen (b) Spannungszustand. Die Verteilung um 90° (senkrecht zur Zugrichtung) und die annähernde Gleichverteilung im biaxialen Spannungszustand deuten auf eine im Mittel isotrope Bruchzähigkeit der Martensitinseln ohne Vorzugsachse in Walz- oder Querrichtung hin

 

Der Vergleich von mehreren 10.000 Schädigungsstellen erlaubte zudem die klare Abgrenzung von Schädigungsmechanismen, welche spezifisch im In- oder Ex-situ-Versuch vorkommen. So wurde im In-situ-Versuch die Ablösung von Phasengrenzen lediglich als „Artefakt“ der freien Oberfläche festgestellt, in Übereinstimmung mit ähnlichem veröffentlichten Bildmaterial [Hoe15]. Dies unterstreicht die Wichtigkeit des lokalen (dreidimensionalen) Spannungszustands auf die Schädigung. Es wurden daher erste Arbeiten zur großflächigen Untersuchung des Werkstoffs in 3D mittels seriellen mechanischen Polierens durchgeführt. Diese legen auf Basis erster, zum Zeitpunkt des Berichts allerdings noch unvollständiger Analysen nahe, dass auch im Volumen (ex-situ) die im Schliff beobachtete Phasenablösung direkt mit Martensitbrüchen in Zusammenhang steht.

Schädigungsanalyse von technologischen Bauteilen

Auch wurden in den A Projekten umgeformte DP800-Proben in enger Kooperationen mit diesen Projekten untersucht und hinsichtlich der vorliegenden Schädigung analysiert. Hierbei wurde die großflächige, automatisierte und Deep-Learning-gestützte Analyse von REM-Aufnahmen angewandt. So konnte in Zusammenarbeit mit TP A05 für das im TP A05 entwickelte Verfahren des „Radial stress superposed bending“ (RSS-Bending) gezeigt werden, dass bei gleicher Bauteilgeometrie (Biegeradius und Biegewinkel) durch die Einbringung von überlagerten Druckspannungen in der Umformzone die Schädigung in der Umformzone deutlich abnimmt, siehe Abb. 3 [Mey19].

Abb. 3: Gemessene Flächenanteile über alle verformungsinduzierten Schädigungsstellen (Porenflächenanteil) in Abhängigkeit vom Abstand zum Außenbogen für konventionelles Freibiegen und das in Teilprojekt A05 entwickelte RSS-Biegen. Aus [Mey19].

 

Bei diesen Untersuchungen wurde, ausgehend von Betrachtungen auf mikrostruktureller Ebene, der geänderte Lastpfad als dominante Einflussgröße auf die am Ende des Umformprozesses im Bauteil enthaltene Schädigung identifiziert. Es konnte belegt werden, dass der zur Minimierung der Schädigung ausgelegte Prozess des RSS-Biegens tatsächlich die Schädigung um einen Faktor nahe 2 reduziert. Dies wurde erreicht durch die Reduktion der Spannungsmehrachsigkeit während der Umformung in Form einer Überlagerung von Druckspannungen. Eine weitere, systematische Analyse des Effektes dieser charakteristischen Größe des Spannungszustandes wurde in Kooperation mit Teilprojekt B05 unternommen.

Einfluss des Spannungszustandes auf die Schädigungsentwicklung

Zusätzlich wurde die Spannungsmehrachsigkeit in den Untersuchungen verschiedener Teilprojekte (A02, A05, B02, B04) als zentrale Einflussgröße des Lastpfades auf die Schädigung identifziert. Daher wurden systematische Versuche an gekerbten Zugproben in Kooperation mit Teilprojekt B05 unternommen [Kus20b], um den Einfluss des Spannungszustandes, insbesondere der Spannungsmehrachsigkeit, auf die Entwicklung der Schädigung in den Stufen Schädigungsinitiierung, Wachstum von Schädigungsstellen und deren Koaleszenz zu untersuchen. Durch die Möglichkeit, mehrere tausend Schädigungsstellen pro Aufnahme sowohl statistisch relevant als auch mit ausreichend hoher Auflösung zu erkennen, konnten Rückschlüsse auf die primären Einflüsse von Spannung und Dehnung auf die Schädigungsentwicklung gewonnen werden. Durch die veränderten Kerbgeometrien der Zugproben konnte der Spannungszustand so variiert werden, dass beim Versagen der Proben Dehnungen von 0,05 bis 0,55 und Spannungsmehrachsigkeiten von 0,37 bis 0,7 eingestellt wurden. Die hierfür benötigten Kennwerte des Lastpfades, plastische Vergleichsdehnung und Spannungsmehrachsigkeit, wurden durch ein kalibriertes Materialmodell und Finite-Element (FE)-Simulationen aus Teilprojekt B05 [Put20] bereitgestellt.

Abb. 4: Einfluss von plastischer Vergleichsdehnung und Spannungsmehrachsigkeit auf den Flächenanteil der Schädigungsstellen (Porenflächenanteil). Unveröffentlicht, Manuskript in Vorbereitung. [Kus20b].

 

Der in Abb. 4 dargestellte Einfluss der Spannungsmehrachsigkeit auf die Entwicklung von Schädigungsstellen [Kus20b] ist in den grundlegenden Modellen zur Schädigungsentwicklung theoretisch verankert, wie z.B. bei Gurson [Gur77], und wird im Allgemeinen auf das Wachstum der Schädigungsstellen aufgrund von positiven hydrostatischen Spannungen zurückgeführt [McC68]. Die experimentelle Reproduktion dieser Theorie ist jedoch in realen Mikrostrukturen schwierig, da das Wachstum einer einzelnen Schädigungsstelle in erster Linie vom lokalen Spannungszustand in der Mikrostruktur abhängt und nicht dem kontinuumsmechanisch errechneten Spannungszustand folgt.

Durch die Möglichkeit der statistischen Betrachtung tausender Schädigungsstellen jedoch konnten hier jenseits von Modellmaterialien [Hos12] diese Zusammenhänge in einem realen Dualphasenstahl verifiziert werden. Es konnte damit im TP B02 gezeigt werden, dass die Dominanz der lokalen Mikrostruktur auf die Initiierung und Evolution einer einzelnen Schädigungsstelle bei der Betrachtung einer hohen Zahl von Schädigungsstelle im Mittel entfällt und sich somit global die Schädidungsentwicklung auch im mikrostrukturell inhomogenen DP800 auf die primären Einflussgrößen des Lastpfades zurückführen lässt, Abb. 5. Diese Untersuchungen ermöglichten daher eine essenzielle Validierung der im TRR 188 verwendeten Modelle zur Schädigungsentwicklung [Sch19].

Abb. 5: Globaler und lokaler Einfluss von plastischer Dehnung auf die Initiierung von Schädigungsstellen (Porenanzahl) und Spannungsmehrachsigkeit auf das Wachstum (mittlere Porengröße). [Kus20b].

 

Nanomechanische Charakterisierung von Einzel- und Einschlussphasen

Zur Interpretation der Mechanismen von Schädigungsinitiierung und -entwicklung im Dualphasenstahl wurde auch eine nanomechanische Charakterisierung der Ferrit- und Martensitphasen im kommerziellen und in den im TRR 188 hergestellten Werkstoffen (A04) durchgeführt. Auf diese Weise konnten Informationen über die mechanische Heterogenität der Mikrostrukturen gewonnen werden, welche für die qualitative Interpretation der Schädigungsmechanismen im Vergleich zwischen den Dualphasenwerkstoffen und zur Festlegung nanomechanischer Versuchsgeometrien im TP B03 herangezogen wurden und mechanische Parameter für die kristallplastischen Modelle im Projektbereich C lieferten. Hierzu wurden zunächst im Dualphasenstahl Härte und Elastizitätsmodul mittels Nanoindentation bestimmt.

In weiteren Arbeiten wurde für den in der Massivroute eingesetzten 16MnCrS5-Einsatzstahl die Plastizität der eingeschlossenen Mangansulfide (MnS) betrachtet [Kus20a]. Mittels Nanoindentation und Dehnratenwechselversuchen wurden Härte (2,4 ± 0.2 GPa), Elastizitätsmodul (121 ± 10 GPa) und Dehnratenempfindlichkeit bestimmt (0,0563 ± 0.0016). Zur Identifizierung der aktiven Verformungsmechanismen bzw. Gleitsysteme bei der plastischen Verformung der Einschlüsse wurden außerdem Mikrokompressionsversuche durchgeführt. Hierbei wurde, im Einklang mit Arbeiten zu anderen Ionenkristallen wie LiF [Sol12] und MgO [Kor11], die Aktivierung der Gleitsysteme {110}<-110> und {100}<011> bei jeweils unterschiedlichen kritischen Schubspannungen festgestellt, siehe Abb. 6. Da die Umformung des Massivmaterials auch bei höheren Temperaturen und hohen Raten vorgenommen wird, soll die Untersuchung der Plastizität der MnS in der 2. Förderperiode auf Hochtemperaturversuche bei variablen Raten ausgeweitet werden, um so der Modellierung konstitutive Gesetze für die Verformung der Einschlüsse im Umformprozess zur Verfügung zu stellen.

Abb. 6: Ergebnisse der Mikrokompressionsversuche an MnS Einschlüssen zur Bestimmung der aktiven Gleitsysteme und deren kritischer aufgelöster Schubspannungen [Kus20a].

 

Übertragung auf weitere Materialsysteme

Die im TP B02 entwickelte Methode zur automatisierten Detektion und Klassifizierung von Schädigungsstellen wurde in der ersten Förderperiode bereits auf ein weiteres Materialsystem übertragen: kriechfeste zweiphasige Mg-Al-Ca Legierungen. Auch diese Legierungen wurden im In-situ-Versuch verformt und die Entwicklung der Schädigung in der intermetallischen Phase bis zum Bruch nachvollzogen [Zub19a]. Das Auftreten von Mikrorissen in der intermetallischen Phase wurde durch die Möglichkeit, eine große Anzahl von Schädigungsstellen zu detektieren und zu visualisieren, im Zusammenspiel mit der Plastizität der Magnesiummatrix untersucht und die abnehmende Konnektivität des Skelettes quantifiziert [Zub19b].

Fazit

In der ersten Förderperiode wurde eine Methode zur hochauflösenden und statistischen Analyse der Schädigungsmechanismen entwickelt. Dabei war das Ziel, die Schädigungsstellen mittels eines automatisierten Ansatzes zu detektieren und zu vermessen, und anschließend mittels Deep Learning die zugehörigen Schädigungsmechanismen zu klassifizieren. Durch die zwei eingesetzten neuronalen Netze wurde eine Unterscheidung zwischen umforminduzierter Schädigung und anderweitig, z.B. durch Einschlüsse, eingebrachter Schädigung vorgenommen. Die Methode wurde an Proben aus DP800 angewendet, die mit unterschiedlichen Belastungen verformt wurden. Im uniaxialen Zugversuch zeigte sich bei niedrigen Dehnungen eine Dominanz des Martensitbruchs, wobei bei höheren Dehnungen der Anteil der Phasengrenzablösung dagegen zunahm. Durch weitere durchgeführte biaxiale Zugversuche konnten Erkenntnisse über die Abhängigkeit und Ausprägung der dominanten Mechanismen der Schädigungsinitiierung vom Lastpfad erzielt werden. Hierzu wurde die Verteilung der Hauptachsenwinkel der im uniaxialen und biaxialen Spannungszustand identifizierten Martensitbrüche hinsichtlich der Zugrichtung systematisch analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass die Initiierung von Brüchen in Martensitinseln durchschnittlich ein isotropes Verhalten in der Blechebene aufweist.  

In Kooperation mit dem Bereich A wurde die entwickelte Methodik zur automatisierten Schädigungscharakterisierung an technologischen Proben angewendet. So konnte für das vom TP A05 entwickelte RSS-Bending-Verfahren gezeigt werden, dass bei gleicher Bauteilgeometrie die Schädigung in der Umformzone durch die Einbringung von überlagerten Druckspannungen deutlich abnimmt. Des Weiteren wurden in Kooperation mit dem TP B05 systematische Versuche an gekerbten Zugproben verschiedener Kerbgeometrien durchgeführt, um den Einfluss der plastischen Dehnung auf die Initiierung von Schädigungsstellen (Porenanzahl) und Spannungsmehrachsigkeit auf die Evolution (mittlere Porengröße) zu untersuchen. Damit konnte gezeigt werden, dass der dominierende Einfluss der lokalen Mikrostruktur auf die Initiierung und Evolution einzelner Schädigungsstellen bei einer statistischen Betrachtung von Schädigungsstellen im Durchschnitt entfällt. Somit ließ sich die Schädigungsentwicklung im DP800 aus einer globalen Perspektive auf die primären Einflussgrößen des Lastpfades zurückführen. 

Darüber hinaus wurde in weiteren Arbeiten nanomechanische Charakterisierung von Einzel- und Einschlussphasen vorgenommen. Hierzu wurden im DP800 die Härte und der Elastizitätsmodul von Ferrit und Martensit bestimmt. Für den in der Massivroute eingesetzten 16MnCrS5-Einsatzstahl wurden die mechanischen Eigenschaften und die Plastizität der eingeschlossenen Mangansulfide mittels Nanoindentation, Dehnratenwechselversuchen und Mikrokompressionsversuchen untersucht. Daraus wurde die Aktivierung der Gleitsysteme {110}<-110> und {100}<011> bei jeweils unterschiedlichen kritischen Schubspannungen festgestellt.

Literaturverzeichnis

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Projektleitung
Prof. Dr. Sandra Korte-Kerzel,
Dr.-Ing. Talal Al-Samman
Institut für Metallkunde und Metallphysik der RWTH Aachen

Projektbearbeitung
Maximilian Wollenweber M. Sc.
Institut für Metallkunde und Metallphysik der RWTH Aachen